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Kein Fahrverbot trotz Rotlichtverstoß? |
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Der Bußgeldkatalog unterscheidet in Nr. 34 zwischen einfachem und qualifiziertem
Rotlichtverstoß. Während der einfache Rotlichtverstoß "nur"
mit einer Geldbuße von 100 DM geahndet wird, zieht der qualifizierte Rotlichtverstoß
(Überfahren des Rotlichts nach mehr als einer Sekunde oder unter Gefährdung
anderer) neben der höheren Geldbuße von 250 DM meist auch ein Regelfahrverbot
nach sich.
Von diesem Regelfahrverbot werden allerdings von den Gerichten Ausnahmen u.a.
dann zugelassen, wenn es sich um einen "atypischen Rotlichtverstoß" handelt.
Das heißt: Bei dem Rotlichtverstoß muss sich das gesamte Tatbild
vom Durchschnitt der sonst vorkommenden Rotlichtverstöße so unterscheiden,
dass die Verhängung eines Fahrverbots unangemessen wäre (vgl. z.B.
OLG Hamm DAR 99, 515; MDR 2000, 519; OLG Köln NZV 94, 330).
Als Verteidiger müssen Sie die Fälle kennen, in denen bei
einem Rotlichtverstoß von der Verhängung eines Fahrverbots
abgesehen werden kann. Ob ein Fahrverbot auszusprechen ist oder nicht,
können Sie in der Checkliste nachlesen.
ABC der Rotlichtverstöße
Abbiegen: Ein Verwechseln der Ampel für Abbieger mit der für
den Geradeausverkehr kann beim Abbiegen zum Absehen von einem Fahrverbot
führen (OLG Düsseldorf DAR 2000, 126; OLG Hamm DAR 96, 69; OLG
Karlsruhe DAR 96, 367); siehe auch "Fußgängerampel", "Rechtsabbiegen".
Adressensuche: Bei Ablenkung durch Adressensuche kann ein Absehen
von einem Fahrverbot in Betracht kommen (OLG Koblenz DAR 94, 287 für
Auslieferungsfahrer).
Anhalteschwierigkeiten: Der Betroffene hat die Ampel zwar zuvor
beobachtet, bekommt dann aber wegen spiegelglatter Fahrbahn Schwierigkeiten,
seinen Pkw anzuhalten. In diesem Fall handelt es sich nur um leichte Fahrlässigkeit
mit der Folge, dass ein Fahrverbot nicht verhängt werden kann (OLG
Dresden DAR 98, 280).
Baustellenampel: Bei einem Verstoß ohne Gefährdung
des entgegenkommenden Verkehrs, insbesondere beim "Anhängen" an den
Vordermann, handelt es sich häufig um einen atypischen Fall, der
zum Absehen vom Regelfahrverbot berechtigt (OLG Düsseldorf DAR 95,
30; OLG Oldenburg zfs 95, 75; OLG Köln DAR 94, 249; OLG Hamm NZV
94, 369). Das gilt allerdings nicht, wenn der Betroffene zuvor an bereits
haltenden Fahrzeugen vorbeigefahren ist (OLG Düsseldorf DAR 99, 512).
Busspur: Verirrt sich der Fahrer in einer Busspur und fährt
er bei Dauerrotlicht, das nur vom Busfahrer umgeschaltet werden kann,
weiter, kommt ein Fahrverbot nicht
in Betracht (OLG Hamm DAR 94, 409; BayObLG VRS 90, 51).
Dauerrotlicht: Die Umstände des Einzelfalls (hier: ca. 3-minütiges
Warten bei irriger Annahme von Dauerrot und Animation zur Weiterfahrt) können
es durchaus rechtfertigen, von einem Fahrverbot abzusehen (NStZ 99, 518 = MDR
99, 1264 = DAR 99, 515 = VRS 97, 384 = NZV 2000, 52).
Frühstart: Kommt es infolge des Frühstarts nicht zu einer
Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, kann von einem Fahrverbot abgesehen
werden (OLG Köln NZV 94, 330; OLG Oldenburg NZV 94, 38). Bei einem Frühstart
mit anschließendem Unfall kommt hingegen die Verhängung eines Fahrverbots
in Betracht (BayObLG DAR 96, 103; siehe aber auch OLG Hamm MDR 2000, 519; zur
Berücksichtigung der Gefährdung anderer siehe "Mitzieh-Effekt").
Fußgängerampel: Hier sind verschiedene Fallgestaltungen
möglich: Ein qualifizierter Rotlichtverstoß wird z.B. ausscheiden
können, wenn der Verstoß zur Nachtzeit und bei geringem Verkehrsaufkommen
und mit Schrittgeschwindigkeit begangen wurde (OLG Düsseldorf zfs
95, 294). Entsprechendes gilt, wenn der Fahrer weiterfährt, nachdem
er zuvor einen Fußgänger hat passieren lassen (OLG Düsseldorf
VRS 90, 226; OLG Karlsruhe zfs 96, 274).
Mitzieh-Effekt: Beim "Mitzieh-Effekt" besteht Streit. Dieser entzündet
sich an der Frage, ob es für das Absehen vom Fahrverbot ausreicht, dass
es durch den qualifizierten Rotlichtverstoß nicht zu einer konkreten Gefährdung
eines anderen Verkehrsteilnehmers, insbesondere des "Querverkehrs", gekommen
ist (so KG NZV 94, 238; OLG Oldenburg NZV 95, 119; OLG Düsseldorf DAR 96,
107) oder ob bereits allein die abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer
für die Annahme eines qualifizierten Falles genügt (OLG Karlsruhe
NZV 96, 38; OLG Düsseldorf NZV 96, 117; NZV 98, 335; DAR 2000, 127, 128;
OLG Hamm NZV 96, 327). Im Hinblick auf die BGH-Entscheidung vom 11.9.97 (NJW
97, 3252) wird man sich der letzten Ansicht kaum noch anschließen können
(s. auch OLG Hamm NZV 99, 176 = MDR 99, 93 = VRS 96, 64). Die Rspr. ist aber
immer noch geteilt (s. einerseits noch OLG Düsseldorf DAR 99, 131; BayObLG
DAR 97, 28; OLG Stuttgart DAR 97, 364; andererseits BayObLG NZV 99, 216, und
auch BGH DAR 99, 463 = NZV 99, 430). Teilweise wird aber sogar auch bei einem
an den Rotlichtverstoß sich anschließenden Verkehrsunfall von einem
Fahrverbot abgesehen (OLG Hamm MDR 2000, 519).
Notstandslage: Bei (irriger) Annahme einer Notstandslage kann
von einem Fahrverbot abgesehen werden (OLG Hamm DAR 96, 416 = NZV 96,
503 = zfs 96, 474 = VRS 92, 230). Im entschiedenen Fall hatte die Betroffene
die aus einem neben ihr haltenden Pkw mit einer Anhaltekelle winkenden
(Zivil-)Polizeibeamten nicht als solche erkannt. Sie fühlte sich
von den Beamten bedroht und hatte Angst, dass die beiden sie überfallen
wollten. Deshalb hatte sie die Ampel bei Rotlicht überfahren.
Ortsunkundiger: Kein Regelfall, wenn ein Ortsunkundiger die Lichtzeichen
für verschiedene Spuren verwechselt (OLG Hamm DAR 96, 69; OLG Stuttgart
DAR 99, 88) und es deshalb zum Rotlichtverstoß kommt. Das gilt erst
recht, wenn die Verwechselung durch die Art der Anbringung der Lichtzeichenanlage
begünstigt wurde (OLG Stuttgart, aaO).
Rechtsabbiegen: Kommt es nach einem Rechtsabbiegen zur Missachtung
einer "
Auffangampel", kann die Verhängung eines Fahrverbots ausscheiden
(BayObLG DAR 94, 329; DAR 94, 376); siehe auch "Abbiegen".
Sonneneinstrahlung/-blendung: Bei einem Rotlichtverstoß infolge
Sonneneinstrahlung/-blendung wird in der Regel die Verhängung eines Fahrverbots
berechtigt sein. Die Einstrahlung von Sonnenlicht begründet nämlich
wegen der damit häufig verbundenen schwierigen Erkennung der jeweiligen
Farbphase der Lichtzeichenanlage eine besondere Sorgfaltspflicht des Kraftfahrzeugführers
(OLG Hamm NZV 96, 327 = VRS 91, 397; OLG Karlsruhe DAR 97, 299). In diesen Fällen
darf der Fahrer nicht einfach unkontrolliert weiterfahren und auf eine für
ihn günstige Farbphase vertrauen (OLG Hamm NZV 99, 302 = DAR 99, 326).
Telefonieren: Ein Fahrverbot ist berechtigt, wenn der Betroffene
an einer Kreuzung im Fahrzeug telefoniert und ohne Beachtung der Lichtzeichenanlage
bei Rotlicht losfährt, weil er "aus dem Unterbewusstsein heraus"
annimmt, inzwischen habe die Ampel auf Grün gewechselt (OLG Düsseldorf
NZV 98, 335).
Überfahren der Haltelinie bei Grün: Wer bei Grünlicht
die Haltelinie überfährt und nach verkehrsbedingtem Halt bei
schon länger als eine Sekunde andauernder Rotphase in eine Kreuzung
einfährt, kann einen qualifizierten Rotlichtverstoß begehen,
der i.d.R. auch zu einem Fahrverbot führen wird (BGH NZV 99, 430
= DAR 99, 463; a.A. OLG Köln DAR 98, 244 = NZV 98, 297; KG DAR 97,
361).
Unaufmerksamkeit: Bei nur leichter Unaufmerksamkeit wird ein Absehen
von einem Fahrverbot möglich sein (OLG Düsseldorf zfs 96, 113;
KG VRS 87, 52). Wer die Ampel hingegen infolge grober Unaufmerksamkeit
übersieht, kann hinsichtlich des Fahrverbots nicht mit Milde rechnen
(OLG Düsseldorf DAR 2000, 127, 128; OLG Hamm NZV 97, 446 = VRS 93,
377).
Verwechselung der Lichtzeichen: siehe "Mitzieh-Effekt" und "Unaufmerksamkeit".
Wahrnehmungsfehler: siehe "Mitzieh-Effekt" und "Unaufmerksamkeit".
Wenden: Wird die Ampel wegen Wendens übersehen, kann ggf.
auf ein Fahrverbot verzichtet werden (OLG Düsseldorf NZV 96, 39).
Auf zwei Punkte muss der Verteidiger im Zusammenhang mit der Verhängung
eines Fahrverbots infolge eines Rotlichtverstoßes besonders achten:
Bußgeldbehörde und Gericht sind nicht verpflichtet, jeden
Rotlichtfall von sich aus auf außergewöhnliche Umstände
hin zu untersuchen (BGH NJW 97, 3252). Eine Untersuchungspflicht besteht
nur, wenn sich solche Umstände aufdrängen oder wenn der Betroffene/Verteidiger
solche Umstände geltend macht. Sie müssen also unbedingt vortragen,
warum es sich um einen atypischen Rotlichtfall gehandelt hat.
Wenn das AG von der Verhängung des Regelfahrverbots nicht abgesehen
hat, müssen Sie als Verteidiger die Ausführungen des Amtsrichters
sorgfältig prüfen, ob sie die Verhängung des Fahrverbots
tragen. Denn nur dann, wenn der festgestellte atypische Rotlichtverstoß
in seinem Unrechtsgehalt einem typischen qualifizierten Rotlichtverstoß
entspricht, kann ein Fahrverbot verhängt werden (BayObLG DAR 97,
28). Für diese Annahme muss der Amtsrichter ausreichende tatsächliche
Feststellungen getroffen haben (siehe z.B. BayObLG, aaO, für einen
Rotlichtverstoß an einer Baustellenampel).
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INFOBOX |
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Autor:
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Quelle:
Verkehrsrecht Aktuell (VA) 2000, 46 ff |
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Bildquelle:
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Erstellt:
20. Juni 2001 |
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