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Verstoß gegen Pol.-Richtlinien - Beweisverwertungsverbot? |
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Gericht: OLG Oldenburg Senat für Bußgeldsachen
Datum: 29. Januar 1996
Az: Ss 10/96
Titelzeile
(Verkehrsordnungswidrigkeit: Verwertbarkeit einer entgegen polizeilichen Richtlinien für
die Verkehrsüberwachung zustande gekommenen Geschwindigkeitsmessung)
Leitsatz
Entgegen polizeilichen Richtlinien für die Verkehrsüberwachung zustande gekommene
Geschwindigkeitsmessungen sind nicht unverwertbar. Die Beachtung des Gleichheitsgrundsatz
kann sich jedoch auf die Bewertung der Rechtsfolge des Geschwindigkeitsverstoßes
auswirken.
Fundstelle
NZV 1996, 375
ZfSch 1996, 396
VRS 91, 478
Rechtszug:
vorgehend AG Osnabrück 1995-07-14 54 Js 34890/94
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 14.
Juli 1995 wird verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Amtsgericht Osnabrück hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens
der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 32 km/h eine Geldbuße von 280,-- DM
sowie ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der
Betroffene befuhr am 2. August 1994 gegen 19.35 Uhr mit seinem Pkw in ... die ... Straße
stadtauswärts. In Höhe des Hauses ... Straße ... wurde mit einem Radargerät der Marke Traffipax speedophot
ordnungsgemäß eine vorwerfbare Geschwindigkeit von 82 km/h gemessen. Auf der in
Fahrtrichtung gesehen rechten Straßenseite befinden sich mehrere Wohnhäuser sowie eine
Schule. Es handelt sich um einen Unfallschwerpunkt. Die Entfernung vom Meßpunkt zur
Ortsausgangstafel betrug ca. 100 Meter.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er
seinen Freispruch erstrebt. Der Betroffene greift die Tatsachenfeststellungen des
Amtsgerichts an, soweit dieses vom Vorliegen einer Gefahrenstelle ausgegangen ist, und
vertritt die Auffassung, die Verurteilung sei zu Unrecht erfolgt, weil die Messung in
einem Abstand von nur 100 Metern vor der Ortsausgangstafel gegen die polizeilichen
Richtlinien zur Verkehrsüberwachung verstoßen habe.
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
Der Schuldspruch läßt keine Rechtsfehler erkennen. Das Amtsgericht ist zutreffend zu der
Feststellung gelangt, daß der Betroffene die innerörtlich vorgeschriebene
Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 32 km/h überschritten hat. Dies zieht auch der
Betroffene nicht in Zweifel. Soweit er meint, er hätte gleichwohl nicht verurteilt werden
dürfen, weil die Messung entgegen den Regelungen der Richtlinien für die
Verkehrsüberwachung in einem Abstand von nur 100 Metern vor dem Ortsausgangsschild
erfolgt sei, trifft dies nicht zu.
Der für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten geltende Opportunitätsgrundsatz
gestattet es den Verwaltungsbehörden, bei der Verkehrsüberwachung Schwerpunkte zu
setzen. Dementsprechend sollen nach Anlage 1 Nr. 1 Abs. 2 der "Richtlinien für die
Verkehrsüberwachung durch die Polizei" vom 19.5.1980 (Nds. MBl. 1980, 781, 784)
"Kontrollen ... nicht kurz vor oder hinter geschwindigkeitsregelnden Verkehrszeichen
durchgeführt werden. Der Abstand bis zur Meßstelle soll 150 m betragen. Er kann in
begründeten Fällen unterschritten werden (z.B. Gefahrenstellen, Gefahrzeichen,
Geschwindigkeitstrichter)." Meßergebnisse, die unter Verstoß gegen diese
verwaltungsinterne Richtlinie, ansonsten aber korrekt gewonnen worden sind, unterliegen
keinem Verwertungsverbot. Ein Freispruch des Betroffenen kommt daher nicht in Betracht.
Allerdings dürfen die Verkehrsteilnehmer die Erwartung hegen, daß sich die
Verwaltungsbehörde über Richtlinien zur Handhabung des Verwaltungsermessens, die eine
gleichmäßige Behandlung sicherstellen sollen, im Einzelfall nicht ohne sachliche Gründe
hinwegsetzt. Insoweit können sich solche Richtlinien über Art. 3 GG für den Bürger
rechtsbildend auswirken und bei weniger gravierenden Verstößen oder geringer Schuld eine
Einstellung des Verfahrens nach § 47 OWiG gebieten (OLG Hamburg JR 1956, 230; OLG
Saarbrücken VRS 46, 205, 206; Göhler,
OWiG, 11. Aufl., § 47 RdNr. 9; Herde DAR 1984, 134, KK-OWi/Bohnert §
47 RdNr. 106; R/R/H OWiG, 2. Aufl., § 47 RdNr. 11). Ob dies der Fall ist, haben auch die
Staatsanwaltschaft und die Gerichte in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen.
Die Voraussetzungen für eine Einstellung liegen hier schon deshalb nicht vor, weil die
Messung den Richtlinien entsprochen hat. Bei der Ausübung des Ermessens, welche Gründe
ein Abweichen von der Regel rechtfertigen, daß eine Meßstelle nicht im Abstand von unter
150 m vor oder hinter geschwindigkeitsregelnden Verkehrszeichen erfolgen soll, ist der
Polizei und den Straßenverkehrsbehörden ein weiter Spielraum einzuräumen. Soweit in den
Richtlinien eine Messung an Gefahrstellen, Gefahrzeichen und Geschwindigkeitstrichtern
ausdrücklich gestattet wird, ist diese Aufzählung lediglich beispielhaft. Darüber
hinaus sind als Gefahrenstellen nicht nur Stellen anzusehen, an denen es in der
Vergangenheit vermehrt zu Unfällen gekommen ist, sondern auch solche, an denen sich die
mit einer überhöhten Geschwindigkeit einhergehende abstrakte Gefahr aufgrund besonderer
Umstände zukünftig konkretisieren kann. Dies ist z.B. in der Nähe von Schulen
regelmäßig der Fall. Ist, wie hier, eine Gefahrenstelle vorhanden, so obliegt es weiter
grundsätzlich der Polizei, anhand der Gegebenheiten vor Ort zu entscheiden, wo die
Meßstelle eingerichtet wird. Diese Entscheidung ist von den Gerichten hinzunehmen, soweit
nicht ausnahmsweise die Grenze zur Willkür überschritten wird. Anhaltspunkte hierfür
sind im vorliegenden Fall nach den für den Senat bindenden Feststellungen des
angefochtenen Urteils nicht zu erkennen.
Der Rechtsfolgenausspruch begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Die Erhöhung der
Regelgeldbuße ist angesichts der einschlägigen Voreintragungen nicht zu beanstanden.
Gleiches gilt für das verhängte Fahrverbot.
Die Voraussetzungen eines Ausnahmefalls, in dem entgegen der Regel von der Verhängung
eines Fahrverbots abgesehen werden könnte, liegen nicht vor. Weder wich nach den vom
Amtsgericht festgestellten objektiven Gegebenheiten die Gefährlichkeit des konkreten
Verstoßes des Betroffenen von der typischen Gefahrensituation ab, die Anlaß für die
gesetzlich geregelte innerörtliche Geschwindigkeitsbegrenzung ist, noch war das Maß
seines Verschuldens besonders gering. Insbesondere ist Verkehrsteilnehmern beim Befahren
einer innerörtlichen Straße vor Erreichen des Ortsausgangsschildes keine sogenannte
Meßtoleranz einzuräumen. Daß sie eine solche bei der Einfahrt in eine Ortschaft unter
Umständen erwarten dürfen (BayObLG NZV 1995, 496; OLG Oldenburg NZV 1994, 286; 1995,
288; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 33. Aufl., § 3 StVO
Rn. 51/52 ), findet seinen Grund darin, daß dadurch möglichen Unwägbarkeiten bei der
Einfahrt in eine Zone mit deutlich geringerer Höchstgeschwindigkeit Rechnung getragen
werden soll. Bei der Ausfahrt besteht hierfür kein Anlaß.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 1 S. 1 StPO. Der
Betroffene wird auf folgendes hingewiesen: Das Fahrverbot ist mit Erlaß dieses
Beschlusses wirksam geworden (§ 25 Abs. 2 Nr. 1 StVG). Der Betroffene macht sich deshalb
nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbar, wenn er gleichwohl im Straßenverkehr ein
Kraftfahrzeug führt. Die Fahrverbotsfrist wird jedoch erst von dem Tage an gerechnet, an
dem er seinen Führerschein bei der Vollstreckungsbehörde, der Staatsanwaltschaft
Osnabrück, zur Verwahrung abliefert (§ 25 Abs. 5 S. 1 StVG).
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INFOBOX |
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Autor:
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Quelle:
juris |
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Bildquelle:
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Erstellt:
25. August 1999 |
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