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Krötenwanderung und Fahrverbot |
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Gericht: KG Berlin 3. Senat für Bußgeldsachen
Datum: 10. Februar 1997
Az: 2 Ss 326/96 - 3 Ws (B) 622/96
Az: 3 Ws (B) 622/96
Az: 2 Ss 326/96
NK: § 24 StVG, § 25 Abs 1 S 1 StVG, § 41 Abs 2 S 6 Nr 7 Zeichen 274 STVO, § 41
Abs 3 Nr 4 StVO, § 2 Abs 1 BKatV, § 2 Abs 2 S 2 BKatV
Titelzeile
(Verfassungsgemäßheit der Anordnung eines Regelfahrverbotes wegen einer erheblichen
Geschwindigkeitsüberschreitung)
Orientierungssatz
Die Anordnung eines Fahrverbotes wegen eines - rechtsfehlerfrei festgestellten -
vorsätzlichen erheblichen Geschwindigkeitsverstoßes (hier: Überschreitung einer wegen
Krötenwanderung durch Verkehrszeichen angeordneten Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60
km/h um 34 km/h) in Anwendung der Regelbeispieltechnik des BKatV § 2 Abs 1 und Abs 2 S 2
ist auch in Ansehung der darin enthaltenen normativen Vorbewertung der
Geschwindigkeitsüberschreitung als grobe oder beharrliche Verletzung der Pflichten eines
Fahrzeugführers verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (Anschluß BVerfG, 1996-03-24,
2 BvR 616/91, NZV 1996, 284).
Rechtszug:
vorgehend AG Berlin-Tiergarten 1996-09-03 300 OWi 1985/96
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in
Berlin vom 3. September 1996 wird verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Amtsgericht hat gegen die Betroffene wegen vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen
§§ 41 Abs. 2 Nr. 7 (Zeichen 274), 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO nach § 24 StVG eine Geldbuße
von 350,- DM festgesetzt und gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG ein einmonatiges Fahrverbot
angeordnet. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen, mit der sie das Verfahren beanstandet
und die Verletzung sachlichen Rechts rügt, ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr.
2 OWiG zulässig; sie hat jedoch keinen Erfolg.
1. Die Verfahrensrügen sind, wie die Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht in ihrer
Stellungnahme zu der Rechtsbeschwerde zutreffend ausgeführt hat, entweder unzulässig
oder unbegründet.
Der Vorwurf, der Tatrichter sei zu Unrecht dem Antrag der Beschwerdeführerin nicht
gefolgt, von dem meteorologischen Dienst P. eine Stellungnahme zum Beweis dafür
einzuholen, daß zur Tatzeit eine die Krötenwanderung ausschließende Temperatur
geherrscht habe, ist entgegen §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht
ordnungsgemäß ausgeführt und somit unzulässig. Der Rechtsbeschwerde ist noch nicht
einmal zu entnehmen, ob ein Beweisantrag i.S.v. § 77 Abs. 2 und 3 OWiG überhaupt
vorgelegen hat. Denn dies setzt voraus, daß der Antrag in der Hauptverhandlung gestellt
worden ist (vgl. KG NZV 1990, 43); anderenfalls ist der Antrag als bloße Beweisanregung
zu werten (vgl. KK-Senge, OWiG, § 77 Rdn. 2).
Die Rüge, der Tatrichter sei seiner Verpflichtung nicht nachgekommen, die
Verwaltungsbehörde, die die Aufstellung dieser Schilder vorgenommen habe, anzuhören, aus
welchem Grunde dort eine Geschwindigkeitsbeschränkung erfolgt sei, ist ebenfalls nicht in
zulässiger Form erhoben. Es wird nicht mitgeteilt, welches für die Beschwerdeführerin
günstige Beweisergebnis von der vermißten Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre (vgl.
KK-Herdegen, StPO 3. Aufl., § 244 Rdn. 39; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO
42. Aufl., § 244 Rdn. 81 und die jeweils dort zitierte Rechtsprechung des BGH).
Unzulässig ist auch die Beanstandung, es hätte zusätzlich der Vertiefung durch
weitere Nachforschung und Beweiserhebung bedurft, daß die Zeugen F., K. und C. die von
der Beschwerdeführerin behauptete mündliche Verwarnung zwar für wenig wahrscheinlich
gehalten, sie aber expressis verbis auch nicht ausgeschlossen hätten, ferner was der
Zeuge C. mit der Formulierung, es habe bei dieser Verwarnung "Querelen" gegeben,
habe ausdrücken wollen und wie der Zeuge K., der angeblich nur im Radarwagen gesessen
habe, die Beschwerdeführerin habe erkennen können, obwohl der Haltepunkt räumlich
entfernt gewesen sei. Die drei Zeugen sind in der Hauptverhandlung am 3. September 1996
vernommen worden. Diese Beweismittel nicht ausgeschöpft zu haben, kann die
Beschwerdeführerin dem Tatrichter nur dann vorwerfen, wenn sich die Richtigkeit ihrer
Behauptung aus dem Urteil selbst ergibt (vgl. BGHSt 17, 351, 352; 4, 125, 126); dies ist
jedoch hier nicht der Fall.
Die Auffassung der Beschwerdeführerin, der Tatrichter habe es zu Unrecht unterlassen,
sie nach § 265 Abs. 2 StPO auf die Nichtanwendung des § 11 Abs. 1 OWiG hinzuweisen, ist
rechtsirrig. Die Hinweispflicht nach § 265 Abs. 2 StPO erstreckt sich, wie sich aus dem
Wortlaut bereits unmißverständlich ergibt, nur auf solche Tatsachen, an deren
tatbestandlich umschriebenes Vorliegen das Gesetz eine Strafschärfung oder die Anordnung
einer Maßregel der Besserung und Sicherung knüpft. Daß dies hier nicht der Fall, bedarf
keiner Ausführungen.
2. Die Sachrüge deckt keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Beschwerdeführerin auf.
a) Die Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch.
Sie weisen aus, daß die Beschwerdeführerin die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30
km/h (Zeichen 274) um 34 km/h überschritten hat. Zwar handelt es sich sowohl bei dem
Zeichen 274 als auch bei dem dort ebenfalls angebrachten Zusatzzeichen (Abbildung einer
Kröte) jeweils um Verkehrszeichen (§ 39 Abs. 1 Satz 2 StVO). Letzteres ist jedoch nur
der Gruppe der allgemeinen Zusatzzeichen unter der Nummer "1006 Hinweise auf
Gefahren" und der Unternummer 37 zugeordnet worden (vgl. Jagusch/Hentschel,
Straßenverkehrsrecht 34. Aufl., § 39 StVO Rdn. 23, 23a) und hat deshalb die
Geschwindigkeitsbeschränkung aufgrund des Zeichens 274 nicht einschränken können. Dies
wäre nur durch ein "beschränkendes Zusatzzeichen" möglich gewesen. Die von
der Beschwerdeführerin behaupteten "Unklarheiten" bestehen mithin nicht.
Der Grundsatz in dubio pro reo ist nicht verletzt. Er bezieht sich auf den Fall der
Unmöglichkeit, bestimmte Feststellungen treffen zu können (vgl. BGHSt 19, 33, 36), nicht
jedoch darauf, daß das Gericht Zweifel hätte haben müssen (vgl. BGH GA 19$_SERVER['PHP_SELF']6).
Der Tatrichter ist zu Recht bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 100%
von einer vorsätzlichen Zuwiderhandlung ausgegangen (vgl. KG, Beschluß vom 20. Mai 1996
- 3 Ws (B) 113/96 -).
Er hat ebenfalls rechtsfehlerfrei ausgeschlossen, daß sich die Beschwerdeführerin sich
in einem Verbotsirrtum befunden hat.
b) Der Rechtsfolgenausspruch läßt keinen Rechtsfehler erkennen.
Die Bußgeldbemessung ist nicht angreifbar; sie bewegt sich in dem Spielraum, der dem
Tatrichter bei der Zumessung eingeräumt ist und eine exakte Richtigkeitskontrolle
ausschließt (vgl. BGHSt 29, 319, 320; 17, 35, 36/37).
Die von dem Tatrichter festgestellte vorsätzlich begangene
Geschwindigkeitsüberschreitung von 34 km/h indiziert das Vorliegen eines groben
Verstoßes im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG und offenbart zugleich ein derart hohes
Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr, so daß es der Denkzettel- und
Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbotes bedurfte (vgl. BGHSt 38, 125, 134).
Zugleich weisen die tatrichterlichen Feststellungen eine Abweichung des Tatbildes von dem
Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommendem Fälle hier nicht in einem solchen Maße
aus, so daß die Anordnung dieser Nebenfolge unangemessen wäre.
Soweit die Beschwerdeführerin ihre gegenteilige Rechtsauffassung auf die Entscheidung des
BVerfG vom 16. Juli 1969 (BVerfGE 27, 36 = NJW 1969, 1623) stützt, ist ihr Vorbringen
ohnehin rechtlich nicht mehr relevant. Denn als ihr Verteidiger die
Rechtsbeschwerdeanträge begründete (2. Oktober 1996), hatte das BVerfG in seinem
Beschluß vom 24. März 1996 (veröffentlicht am 10. Juli 1996 in NZV 1996, 284 ff)
bereits ausgeführt, daß die Anwendung der Regelbeispieltechnik in § 2 Abs. 1 sowie in
Abs. 2 Satz 2 BKatV und die hierin enthaltene normative Vorbewertung als grobe oder
beharrliche Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers mit der regelmäßig
angemessenen Folge des Fahrverbots verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
Die Ausführungen der Beschwerdeführerin, der Tatrichter hätte berücksichtigen müssen,
daß aufgrund ihres Wohnortes in E. und ihrer Arbeitsstelle in B. die Anordnung eines
Fahrverbots zu einer existenziellen Bedrohung führe, sind urteilsfremd und somit
unzulässig. Die Urteilsfeststellungen ergeben nicht, wo sich die Arbeitsstelle der
Beschwerdeführerin befindet. Im übrigen schließt ein mögliche Gefährdung der
beruflichen Existenz, wie sie von der Beschwerdeführerin behauptet wird, die Anordnung
eines Fahrverbots nicht aus (vgl. KG, a.a.O.).
Die Urteilsfeststellungen lassen ausreichend erkennen, daß der Tatrichter sich der
Möglichkeit bewußt gewesen ist, von der Anordnung eines Fahrverbots absehen zu können,
falls bei der Beschwerdeführerin eine Besinnung auf ihre Pflichten als
Kraftfahrzeugführerin allein durch die Verhängung einer empfindlichen Geldbuße erreicht
werden könnte.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
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INFOBOX |
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Autor:
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Quelle:
juris |
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Bildquelle:
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Erstellt:
13. Oktober 1999 |
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