|
|
|
Die Beweiskraft von Ventilständen |
|
|
Zum Nachweis einer ununterbrochenen Parkdauer werden von Seiten der
kommunalen Verkehrsüberwachung oftmals die Ventilstände der Fahrzeugräder festgehalten.
Welche Beweiskraft hat eine unveränderte Ventilstellung nun aber für die Feststellung
der Ordnungswidrigkeit?
Werden
Kraftfahrzeuge im ruhenden Verkehr verkehrswidrig geparkt, so hängt die Höhe des
Verwarnungsgeldes auch vom Zeitraum der Zuwiderhandlung ab. Während das Parken ohne
Parkschein oder nach Ablauf seiner Gültigkeit (1) bis 30 Minuten mit
einem Ahndungssatz von 10 DM bedroht ist, steigert sich dieser fortlaufend bis 50 DM bei
mehr als drei Stunden. Nicht selten wird eine Verwarnung nach § 56 OWiG mit der
Begründung abgelehnt, man sei während des vorgeworfenen Zeitraumes ein oder mehrmals
weggefahren und habe zufällig immer wieder den selben Parkplatz frei vorgefunden.
Deswegen sei die "Dreiminutengrenze" nach § 12 Abs. 7 StVO nicht überschritten
und es liege statt unerlaubtem Parken erlaubtes Halten vor. Zumindest aber versucht der am
Fahrzeug angetroffene Fahrzeugführer, der seine Täterschaft nicht bestreiten kann,
dadurch das Verwarnungsgeld zu "drücken". Aus dem selben Grunde erfreut sich
die Behauptung zwischenzeitlichen Wegfahrens auch bei anderen Verkehrsteilnehmern
erheblicher Beliebtheit. Wird etwa dem Halter eines zum "Überwintern"
abgekoppelt geparkten Wohnwagens vorgeworfen, er habe die zulässige Höchstdauer von zwei
Wochen (2) überschritten, wird häufig behauptet, der Anhänger sei
zwischendurch zur Prüfung seiner Betriebstüchtigkeit einmal um das Viertel herumgefahren
und an derselben Stelle wieder neu geparkt worden.
Da das Bußgeldverfahren nach den Grundsätzen des Strafverfahrens ausgestaltet ist (3), kennt es im Gegensatz zum Verwaltungsverfahren (4)
keinerlei Mitwirkungspflicht des Betroffenen. Diesem steht es nach dem Gesetz (5) vielmehr frei, sich zur Beschuldigung zu äußern oder nicht zur
Sache auszusagen. Der Betroffene muß also nach strafrechtlichen Grundsätzen nicht an
seiner eigenen Überführung mitwirken. Für ihn gilt bis zur rechtskräftigen
Feststellung des Parkverstoßes die Unschuldsvermutung (6). Die
Beweislast liegt ausschließlich bei der Verwaltungsbehörde. Einwendungen des
Betroffenen, die nicht von vornherein völlig unglaubwürdig sind, dürfen daher nicht
ungeprüft als "Schutzbehauptung" gewertet werden. Vielmehr müssen solche
Einwendungen entweder durch Ermittlungen widerlegt und damit als Schutzbehauptung entlarvt
werden, oder es ist im Zweifel zugunsten des Betroffenen von dessen nicht widerlegbaren
Einlassungen auszugehen.
Eine in der Praxis der kommunalen Verkehrsüberwachung vielfach angewandte Methode,
eine ununterbrochene Parkdauer nachzuweisen, ist die Aufzeichnung der Ventilstellung an
den Fahrzeugrädern: Der Außendienstmitarbeiter kommt an einem verkehrswidrig geparkten
Fahrzeug vorbei und bringt ein schriftliches Verwarnungsangebot an der Windschutzscheibe
an. Der Vordruck enthält ein Feld mit der Bezeichnung "Ventilstellung", das
zwei Kreise mit vier Strichen im Winkelabstand von 90° und den Abkürzungen VR für
"vorne rechts" und HR für "hinten rechts" aufweist (vgl. das
nachstehend abgebildete Muster (7)).
Die vorgefundene Ventilstellung am rechten Vorder- und Hinterrad des vom Fahrbahnrand aus
betrachteten Fahrzeuges wird in den Vordruck durch entsprechende Striche in die Kreise
übertragen. Erscheint derselbe oder ein anderer Bediensteter der kommunalen
Verkehrsüberwachung oder ein Polizeibeamter später nochmals am Fahrzeug, kann er die
vorgefundenen Ventilstellungen mit den auf der schriftlichen Verwarnung aufgezeichneten
vergleichen. Haben sich die Ventilstellungen nicht verändert, wird daraus der Schluß
gezogen, das Fahrzeug sei zwischenzeitlich nicht bewegt worden. Dieser Schluß wird auch
bei Einachsfahrzeugen wie z.B. dem genannten Wohnanhänger gezogen. Bei unzulässigem
Dauerparken nach § 12 Abs. 3a StVO muß allerdings zunächst die Ventilstellung ohne
Beanstandung festgehalten werden, damit die Überschreitung von zwei Wochen
ununterbrochenen Parkens nachgewiesen werden kann. Hier besteht die Möglichkeit, auch die
Ventilstellung des linken Rades festzuhalten.
Welchen Beweiswert hat nun eine solche unveränderte Ventilstellung? Wird das
Verwarnungsgeld aufgrund eines Verwarnungsangebotes an der Windschutzscheibe nicht
angenommen, so folgt nach Ablauf der Zahlungsfrist ein an den Inhaber der amtlichen
Zulassung gerichtetes, nochmaliges schriftliches Verwarnungsangebot, das nunmehr aber mit
einem Anhörungsbogen verbunden ist. Behauptet der Betroffene nunmehr im Anhörungsbogen,
er sei zwischenzeitlich nicht weggefahren, erläßt die Verwaltungsbehörde sofort einen
Bußgeldbescheid. Dasselbe gilt, wenn die am Fahrzeug angetroffene Person den
Dauerparkverstoß bestreitet und sich auch nicht durch den Vorhalt der Ventilstellung
überzeugen läßt. Ihre Überzeugung, es liege ununterbrochenes Parken vor, stützt die
Verwaltungsbehörde im Bußgeldbescheid auf die Beobachtungen des
Außendienstmitarbeiters, ohne daß in den aufgeführten Beweismitteln (8)
auf die Ventilstellung besonders hingewiesen würde. Der Tatnachweis soll allein durch den
Parküberwacher als Zeuge geführt werden. Außerdem steht durch die Einwendung des
Betroffenen selbst bereits fest, daß er der Fahrzeugführer war. Diesen Umstand muß er
notwendigerweise einräumen, wenn er behauptet, das Fahrzeug bewegt zu haben. Insoweit
liegt ein Teilgeständnis vor, so daß es nicht zu einem Kostenbescheid gegen den Halter
nach § 25a StVG kommen kann.
Legt der Betroffene nun Einspruch (9) gegen den Bußgeldbescheid
ein und wiederholt dabei seine Behauptung des zwischenzeitlichen Wegfahrens, so wird die
Verwaltungsbehörde den Tatvorwurf weiterhin als gesichert ansehen, den Bußgeldbescheid
aufrechterhalten (10) und das Verfahren an die Staatsanwaltschaft
abgeben (11). Auch diese wird keinen Anlaß sehen, das
Bußgeldverfahren einzustellen, sondern es dem zuständigen Amtsgericht zur Entscheidung
vorlegen (12). Der Richter wird den Außendienstmitarbeiter als Zeugen
in die mündliche Hauptverhandlung laden (13). Nicht selten trifft man
auf die Meinung von Betroffenen, es stünde "Aussage gegen Aussage", man könne
ihm also überhaupt nichts nachweisen. Diese Meinung ist deswegen irrig, weil sich der
Betroffene zum Tatvorwurf einläßt und nur der Zeuge aussagt. Der Unterschied liegt
darin, daß der Betroffene zur Wahrheit nicht verpflichtet ist, sondern es ihm nach dem
Gesetz freisteht, sich zur Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (14). Der Zeuge ist dagegen zur wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet.
Der Richter schöpft nun aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung seine Überzeugung, ob der
Einlassung des Betroffenen, der nicht der Wahrheitspflicht unterliegt und ein
persönliches Interesse am Ausgang des Verfahrens besitzt, oder der Aussage des zur
Wahrheit verpflichteten Zeugen zu folgen ist, der nur das dienstliche Interesse besitzt.
Verwickelt er sich nicht gerade in Widersprüche, so wird seiner Darstellung als der
wahren der Vorzug zu geben sein.
Natürlich kann sich ein Außendienstmitarbeiter aufgrund der Vielzahl der in der
Zwischenzeit bearbeiteten Fälle kaum an den Einzelfall zurückerinnern, auch wenn er
entsprechend seiner Vorbereitungspflicht als Zeuge sein Gedächtnis anhand seiner
Unterlagen wieder auffrischt. Es genügt aber bei mangelndem Erinnerungsvermögen, wenn er
sich auf seine Aufgaben beruft und bekundet, er habe die festgestellten Ventilstellungen
unmittelbar nach der Beobachtung so in den Verwarnungsvordruck übertragen, wie er sie
damals gesehen habe. Ergibt sich danach z. B., daß die Aufzeichnungen der Ventilstellung
in der ersten, wieder von der Windschutzscheibe abgenommenen Verwarnung mit derjenigen auf
der an deren Stelle hinterlassenen Verwarnung mit höherem Verwarnungsgeld identisch ist,
so kann daraus auch der Richter den Schluß ziehen, das Fahrzeug sei nicht bewegt worden.
Gegen diese Überzeugungsbildung wird vor Gericht immer wieder eingewandt, es sei doch
theoretisch möglich, daß zufällig die Radstellung beim rechten Vorder- und Hinterrad
exakt gleich geblieben sei. Dies wird insbesondere bei Einachsfahrzeugen wie Wohnwagen
vorgetragen. Die Einwendungen übersehen daß auch bei angeblichen kurzen Fahrten
zwangsläufig beim Ausparken, Einparken und der Bewegung im fließenden Verkehr der
Lenkradeinschlag der Vorderräder stets verändert und korrigiert werden muß. Durch
verschiedene Kurvenradien verändert sich daher die Ventilstellung des rechten Vorder- und
Hinterrades zueinander. Auch nicht lenkbare einachsige Anhänger folgen der Lenkbewegung
des Zugfahrzeuges, wodurch sich die Ventilstellung beider Räder zueinander verändert.
Zudem müßte dann auch die Stellung jedes einzelnen Rades dieselbe geblieben sein.
Derartige Zufälle können nach den regelmäßig behaupteten kurzen Fahrten zwischen dem
angeblichen "ersten" und zweiten Parken" nach Lebenserfahrung
ausgeschlossen werden, ohne daß es einer mathematischen Zufallsrechnung bedarf. Die
Zeugenaussage eines Parküberwachers über die festgestellten Ventilstellungen sollte
daher regelmäßig zum Tatnachweis der Verkehrsordnungswidrigkeite und zur Bewertung der
Einlassung des Betroffenen als Schutzbehauptung genügen.
Macht allerdings die Verwaltungsbehörde die Erfahrung, daß dem Gericht die
gleichgebliebene Stellung der Ventile zweier Räder allein und zueinander noch nicht
genügt, so kann dem Rechnung getragen werden, indem die Stellung bei allen vier oder noch
mehr Rädern eines Fahrzeuges festgehalten wird. Derartige Zufälle lägen in einer noch
größeren mathematischen Unwahrscheinlichkeit. Ein Gericht benötigt jedoch in
Bußgeldsachen keine mathematisch eindeutige Sicherheit, sondern eine aufgrund der
vorhandenen Tatsachen sichere Überzeugung. Diese muß im Regelfall anhand der Aussage des
Parküberwachers als Zeuge gegeben sein.
(1) § 13 Abs. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 13 StVO, § 24 StVG
(2) § 12 Abs. 3a i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 12a StVO, § 34 StVG
(3) § 46 Abs. 1 OWiG
(4) Mitwirkungspflicht im Verwaltungsverfahren: § 26 Abs. 2 VwVfG
(5) § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG
(6) Art. 6 Abs. 2 der Menschenrechtskonvention (MRK)
(7) Beispiel für den Eintrag von Ventilständen in Vordruckformulare. Bei
dem Einsatz von Mobilgeräten mit Drucker werden üblicherweise die Ventilstände auf dem
Ausdruck ausgewiesen.
(8) Vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 4 OWiG
(9) § 67 OWiG
(10) § 69 Abs. 2 OWiG
(11) § 69 Abs. 3 OWiG
(12) § 69 Abs. 4, § 68 OWiG
(13) §§ 48 ff. StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG, § 71 OWiG
(14) § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG
Ein Leser dieser Seiten merkt zu den obigen Ausführungen folgendes an:
Die Wahrscheinlichkeit gleicher Ventilstände ist weit höher, als zunächst
angenommen.
Da die Notierung auf einem 12fach geteilten Kreis beruht, ist also die Wahrscheinlichkeit,
daß ein Rad wieder die gleiche Notierung erhält, 1/12 (ein Zwölftel). Werden zwei
Räder notiert, sinkt die Wahrscheinlichkeit auf 7 von Tausend, was nach deutschem
Strafrecht trotzdem bei einem Prozess sofort zu einem Freispruch führen muß. Erst bei 1
zu 5 Milliarden (Gentest) erkennen die höheren Instanzen auf schuldig.
Besonders krass wird es übrigens, wenn behauptet wird, das Fahrzeug sei nur ein Stück
verschoben worden, denn es habe sich zwar die Position, nicht aber das
(Winkel-)VERHÄLTNIS ZUEINANDER zwischen den Ventilständen zweier Reifen geändert. Die
Wahrscheinlichkeit des gleichen Verhältnisses beträgt nämlich wieder 1/12, hier wird
also jedem 12. Delinquenten Unrecht getan.
|
|
|
INFOBOX |
|
|
|
|
Autor:
Raimund Wieser |
|
Quelle:
apf - Ausbildung, Prüfung, Fortbildung, Richard Boorberg Verlag, 01/98 |
|
Bildquelle:
|
|
Erstellt:
28. Dezember 1998 |
|
|
|
|
|