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Rotlichtverstoß vor Ende der Rotlichtphase

OLG Hamm, Beschl. v. 14. 11. 1996 - 3 Ss OWi 1178196

StVG § 24; StVO §§ 37 11,49 111 Nr. 2; BKatV § 2 1 1 Nr. 4; BKat Nr. 34.2

Leitsatz: Von einem qualifizierten Rotlichtverstoß ist bei einer Mißachtung des Rotlichtes eines Wechsellichtzeichens nicht nur zu Beginn sondern grundsätzlich während der gesamten Dauer der länger als einer Sekunde andauernden Rotlichtphase auszugehen. Unter besonderen Umständen kann jedoch von einem Fahrverbot abgesehen werden.

Sachverhalt:

Der Betroffene befuhr am 18. 3. 1996 gegen 17.45 Uhr mit seinem Pkw die R-Straße in Essen. Er hielt zunächst an der Rot zeigenden Lichtzeichenanlage im Kreuzungsbereich R-Str./P-Weg für mehrere Sekunden an und bog sodann in den P-Weg nach rechts ab, obwohl die Lichtzeichenanlage immer noch Rot zeigte. Der Betroffene hat zumindest infolge Unaufmerksamkeit das Rotlicht der Lichtzeichenanlage übersehen. Nach dem weiteren Inhalt des angefochtenen Urteils hat sich der Betroffene dahin eingelassen, er habe zunächst angehalten und die Rotlichtphase abgewartet, die Ampel sei dann aber grün gewesen, als er nach rechts eingebogen sei. Diese Einlassung, die durch die Aussage eines als Zeugen vernommenen Beifahrers bestätigt wurde, hielt das Gericht aber aufgrund der Zeugenaussagen zweier Polizeibeamter, die mit ihrem Fahrzeug ebenfalls vor der Lichtzeichenanlage hielten, für widerlegt. Das AG Essen hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Nichtbeachtens des Rotlichts einer Wechsellichtzeichenanlage (Rotlichtdauer länger als eine Sekunde) ein Bußgeld in Höhe von 400 DM verhängt. Von der Anordnung eines Fahrverbotes hat das AG abgesehen. Das AG hat bei der Bemessung der festgesetzten Geldbuße die Regelbuße für einen fahrlässigen sogenannten qualifizierten Rotlichtverstoß von 250 DM zugrundegelegt und diese um 150 DM auf 400 DM im Hinblick darauf erhöht, daß es von der Verhängung des Regelfahrverbots von einem Monat für den qualifizierten Rotlichtverstoß abgesehen hat. Dabei hat das AG die Auffassung vertreten, es bedürfe der Besinnungs- und Warnfunktion des Fahrverbotes im konkreten Fall nicht, da der bislang unbelastete Betroffene einen untypischen Rotlichtverstoß begangen habe.

Gegen dieses Urteil wandte sich der Betroffene mit der frist- und formgerecht eingelegten und begründeten Rechtsbeschwerde, mit der er sich mit weiteren Ausführungen zunächst gegen die richterliche Überzeugungsbildung bei der Beweiswürdigung (§ 261 StPO) wandte und im übrigen die Verletzung materiellen Rechts rügte. Insoweit griff die Rechtsbeschwerde die Annahme eines qualifizierten Rotlichtverstoßes mit der Begründung an, der Betroffene sei, nachdem er zunächst ordnungsgemäß vor der Lichtzeichenanlage angehalten habe, offenbar nur infolge einer auf einem Wahrnehmungsfehler beruhenden Unaufmerksamkeit in die Kreuzung eingefahren. Daher sei allenfalls von einem sogenannten einfachen Rotlichtverstoß auszugehen und lediglich eine Geldbuße von 100 DM festzusetzen.

Die GenStA hatte beantragt, den Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils dahingehend zu ändern, daß gegen den Betroffene eine Geldbuße in Höhe von 100 DM festgesetzt wird. Dabei ist die GenStA davon ausgegangen, daß dem Betroffene in subjektiver Hinsicht kein schwerwiegendes Fehlverhalten anzulasten sei, da er lediglich infolge Unaufmerksamkeit, nicht aber aus grober Nachlässigkeit, Rücksichtslosigkeit oder Verantwortungslosigkeit in die Kreuzung eingefahren sei. Da das AG weder eine abstrakte noch eine konkrete Gefährdung des Querverkehrs festgestellt habe, stelle sich unter diesen Umständen der Rotlichtverstoß nicht als ein von Nr. 34.2 BKat erfaßter Regelfall, sondern nur als ein einfacher Rotlichtverstoß nach Nr. 34 BKat dar, für dessen Ahndung eine Regelbuße von 100 DM vorgesehen sei, die auch im vorliegenden Fall angemessen erscheine. Die Rechtsbeschwerde wurde verworfen.

Aus den Gründen:

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist zulässig, sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Soweit der Betroffene mit der Rüge des § 261 StPO auch die Verfahrensrüge erheben will, ist diese unzulässig, da sie nicht in der gern. § 79 111 OWiG i. V. mit § 344 112 StPO gebotenen Weise ausgeführt worden ist. Im übrigen kann die Behauptung, ein in der Hauptverhandlung vernommener Zeuge habe anders ausgesagt bzw. seine Aussage sei anders zu verstehen gewesen, auch allenfalls dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn ohne Rekonstruktion der Beweisaufnahme der Nachweis geführt werden kann, daß die im Urteil getroffenen Feststellungen nicht durch die in der Hauptverhandlung verwendeten Beweismittel gewonnen worden sind (vgl. BGH, NStZ 1990, 35; Hürxthal, in: KK, 3. Aufl., § 261 Rdnr. 53; KleinknecbtIMeyerGoßner, StPO, 42. Aufl., § 261 Rdnr. 3 8 a).

Die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge hin hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben. Soweit der Betroffene die Beweiswürdigung (§ 261 StPO) im angefochtenen Urteil angreift, liegt keine Rechtsverletzung vor, da diese weder gegen Denkgesetze oder allgemein gültige Erfahrungssätze verstößt, noch Lücken oder Unklarheiten in wesentlichen Punkten enthält. Deshalb hat das RechtsbeschwGer. auch nicht zu prüfen, ob die Erwägungen und Schlüsse des Tatrichters zwingend oder überzeugend sind. Es genügt, daß sie denkgesetzlich möglich sind und von der subjektiven Gewißheit des Tatrichters getragen werden (vgl. BGHSI 26, 56 f. = NJW 1975, 788). Danach ist die Beweiswürdigung des AG auch insoweit einsichtig und nachvollziehbar, als es die Einlassung des Betroffenen angesichts der Angaben der als Zeugen vernommenen Polizeibeamten für widerlegt hielt, obgleich der ebenfalls als Zeuge vernommene Beifahrer im Pkw des Betroffene "meinte, daß die Lichtzeichenanlage Grün gezeigt habe, als der Betroffene losgefahren sei".

Das AG hat auf der Grundlage der somit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu Recht festgestellt, daß sich der Betroffene eines fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 37 11 Nr. 1 S. 7, 49 111 Nr. 2 StVO schuldig gemacht hat, da der Schuldspruch von den zugrundeliegenden Feststellungen getragen wird. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde und der GenStA ist auch der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils nicht zu beanstanden. Die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit unterliegt insoweit grundsätzlich der Würdigung des Tatrichters, der allein sich aufgrund der durchgeführten Hauptverhandlung ein umfassendes Bild von dem Gewicht der Tat und dem gegen den Betroffene erhobenen Vorwurf zu bilden vermag. Dabei billigen die Obergerichte ihm mlir einen "tatrichterlichen Beurteilungsspielraum" zu (so BayObLG, NZV 1994, 327) oder machen zum Maßstab, daß die tatrichterliche Würdigung im Zweifel "bis zur Grenze des Vertretbaren" zu respektieren sei (so OLG Hamm, DAR 1996, 68; OLG Köln, NZV 1994, 161). Dem erkennenden Senat erscheint dabei entscheidend, daß der Tatrichter seine tatrichterliche Würdigung der möglichen Ausnahmen an den Grundsätzen und Intentionen der Bußgeldkatalogverordnung (vornehmlich Rechtssicherheit und Gleichbehandlung) auszurichten hat (vgl. OLG Hamm, JMBINW 1996, 246 (247)). Insoweit unterliegt seine Entscheidung auch der Überprüfung durch das RechtsbeschwGer. Insbesondere ist der Begriff des "Vertretbaren" nicht etwa im Sinne der Einräumung eines rechtlich ungebundenen, freien Ermessens zugunsten des Tatrichters zu verstehen (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 27. 8. 1996 - 2 Ss OWi 926/96), sondern auf die Vorstellung von der Richtigkeit des Entscheidungsinhaltes bezogen und mit "Freiheit von Rechtsfehlern" gleichbedeutend (vgl. hierzu eingehend Bruns, Das Recht der Strafzumessung, 2. Aufl. [19851, S. 307ff. (310); ähnl. Engisch, in Festschr. f. Mezger, S. 152; Larenz, Methodenlehre, 4. Aufl., S. 279 ff.). Der dem Tatrichter so verbleibende Entscheidungsspielraum wird daher durch die gesetzlich niedergelegten oder von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Strafzumessungskriterien eingeengt und unterliegt auch hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das RevGer. bzw. RechtsbeschwGer. (Bruns, S. 311). Wie diese Grenzen zu ziehen sind, wird nach Lage des Einzelfalles zu entscheiden sein. Anerkannt ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung insoweit jedoch, daß die Einordnung des Schuldrahmens innerhalb des Strafrahmens und insbesondere die Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalles oder wie hier - eines Regelfalles der revisionsrechtlichen Kontrolle unterliegt (BGHSt 27, 2 (4 ff.) = NJW 1976, 2355; OLG Hamm, JMBINW 1996, 246 (247); Bruns, S. 61 (308, 313) m.w. Nachw.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das AG mit zutreffenden Erwägungen einen qualifizierten Rotlichtverstoß gern. Nr. 34.2 BKat angenommen und rechtsfehlerfrei von der Verhängung eines Fahrverbotes unter angemessener Erhöhung der für einen solchen Verstoß vorgesehenen Regelbuße abgesehen. Der hiergegen gerichtete Angriff der Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

Zwar wird in der Rechtsprechung teilweise die Auffassung vertreten, daß ein qualifizierter Rotlichtverstoß nach Nr. 34.2 BKat nicht vorliege, wenn ein Fahrzeugführer das Rotlicht der für ihn geltenden Lichtzeichenanlage zunächst beachtet, dann aber infolge einer auf einem Wahrnehmungsfehler beruhenden Unachtsamkeit dennoch in die Kreuzung einfährt, obgleich die Lichtzeichenanlage weiterhin Rotlicht zeigt (vgl. OLG.Hamm [2. Strafsenat], DAR 1995, 501; OLG Düsseldorf [5. Strafsenat], VRS 85 [1993], 139 (140); VRS 85 [1993], 4$PHP_SELF71); NZV 1995, 328; OLG Karlsrube, NZV 1996, 206; DAR 1996, 367; OLG Hamburg, VerkMitt 1995, Nr. 38). Ein qualifizierter Rotlichtverstoß wird hierbei in der Regel mit der Begründung verneint, daß in einem solchen Fall das Einfahren in die Kreuzung nicht etwa aus grober Nachlässigkeit, Rücksichtslosigkeit oder Verantwortungslosigkeit erfolge und deshalb kein schwerwiegendes Fehlverhalten vorliege. Es liege angesichts der gesamten Tatumstände eine so weite Abweichung von dem typischen, vom Verordnungsgeber ins Auge gefaßten Fall des Rotlichtverstoßes gern. Nr. 34.2 BKat vor, daß ein derartiger Regelfall zu verneinen sei (vgl. OLG Hamm [2. Strafsenat], DAR 1995, 501; OLG Karlsruhe, DAR 1996, 367). Aus der amtlichen Begründung der 12. VO zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 15. 10. 1991 (VkBl 1991, $PHP_SELF durch die gern. Art. 2 Ziff. 3c u. a. der Regelfall der Nr. 34.2 BKat eingeführt worden sei, folge zudem, daß ein qualifizierter Rotlichtverstoß gem. Nr. 34.2 BKat regelmäßig erst dann vorliege, wenn ein Verkehrsteilnehmer über mehrere Sekunden hinweg unaufmerksam auf eine Rotlicht zeigende Ampel zufahre und der Vertrauensschutz des Querverkehrs oder von Fußgängern gefährdet werde (vgl. OLG Karlsruhe, NZV 1996, 206). Dies sei aber nicht der Fall, wenn ein Fahrzeugführer zunächst sein Fahrzeug ordnungsgemäß anhalte und es zu keiner konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer gekommen sei (vgl. OLG Düsseldorf [5. Strafsenat], VRS 91 [1996], 146 (147). Im übrigen stehe diese Auffassung im Einklang mit der ganz überwiegenden Rechtsprechung in solchen Fällen zur Frage der groben Fahrlässigkeit im Rahmen von Kaskoversicherungsverträgen zu § 61 VVG (vgl. OLG Karlsruhe, NZV 1996, 206 m. w. Nachw.).

Demgegenüber vertritt ein anderer Teil der Rechtsprechung die Auffassung, daß von einem qualifizierten Rotlichtverstoß gem. Nr. 34.2 BKat auch dann auszugehen sei, wenn ein Fahrzeugführer vor einer Rotlicht zeigenden Ampel zunächst anhalte und trotz Fortdauer des Rotlichts in die Kreuzung einfahre (vgl. OLG Düsseldorf [2. Strafsenat], NZV 1996, 117; BayObLG, DAR 1996, 103; diff. nach dem Grad des Verschuldens: OLG Hamm, [4. Strafsenat], ZfS 1995, 152). Zur Begründung wird hierbei angeführt, daß der Zeitraum einer abstrakten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer in dem von Nr. 34.2 BKat erfaßten Zeitraum von einer Sekunde nach Beginn der Rotlichtphase beginne und erst mit dieser ende, da während dieser gesamten Zeit mit Querverkehr von Fahrzeugen, Radfahrern und Fußgängern gerechnet werden müsse (vgl. OLG Düsseldorf, NZV 1996,117). Daher begründe das in einem späten Stadium der Rotlichtphase erfolgende Einfahren in den Kreuzungsbereich mindestens eine ebenso hohe abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer wie die Mißachtung des Rotlichts einige oder wenige Sekunden nach Beginn der Rotlichtphase. Im übrigen lasse sich auch nicht ein Wille des Verordnungsgebers feststellen, nur Rotlichtverstöße zu Beginn der Rotlichtphase durch den Regeltatbestand der Nr. 34.2 BKat besonders ahnden zu wollen (vgl. OLG Hamm [4. Strafsenat], ZfS 1995, 152). Der Gesetzgeber habe vielmehr das Ziel verfolgt, die Mißachtung des Rotlichts während der gesamten Phase, in der eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer bestehe, höher zu ahnden, als Verstöße in der ersten Sekunde der Rotlichtphase (vgl. OLG Düsseldorf, NZV 1996, 117). Von der Anwendung der BKatV könne auch nur in Einzelfällen abgesehen werden, in denen der Sachverhalt zugunsten des Betroffene so erhebliche Abweichungen aufweise, daß die Annahme eines Ausnahmefalles gerechtfertigt sei, wie dies etwa in Fällen mit denkbar geringer Bedeutung und minimalem Handlungsunwert oder bei möglichen Ausnahmeumständen persönlicher Art der Fall sein könne (vgl. Bay0bLG, DAR 1996, 103 (104)).

Der Senat schließt sich im vorliegenden Fall der letztgenannten Auffassung der Rechtsprechung an, nachdem er bereits durch Beschluß vom 16. 7. 1996 (in DAR 1996, 469) entschieden hat, daß ein sogenannter qualifizierter Rotlichtverstoß gem. Nr. 34.2 BKat auch dann vorliege, wenn ein Fahrzeugführer zunächst das Rotlicht beachtet, dann aber aufgrund der Verwechslung der für ihn geltenden Lichtzeichenanlage dennoch in die Kreuzung einfährt, obgleich er nach wie vor das ihn betreffende Rotlicht zu beachten hat. Ein qualifizierter Rotlichtverstoß gem. Nr. 34.2 BKat ist im vorliegenden Fall schon deshalb anzunehmen, weil nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut der Nr. 34.2 BKat die Rotphase des Wechsellichtzeichens länger als eine Sekunde andauerte. Für eine einschränkende Auslegung des Regeltatbestandes gibt weder der Wortlaut der Nr. 34.2 BKat noch der systematische Zusammenharig der Regeltatbestände der Nr. 34 bis Nr. 34.2.1 BKat eine Veranlassung. Soweit verschiedentlich eine Einschränkung des Anwendungsbereiches des Regeltatbestandes der Nr. 34.2 BKat mit dem Willen des Verordnungsgebers begründet wird (so insb.: OLG Karlsruhe, NZV 1996, 206), ist diese Argumentation wenig überzeugend, da der Wille des Verordnungsgebers zum Teil gerade auch zur Begründung des gegenteiligen Ergebnisses, nämlich zur Anwendung des Regeltatbestandes der Nr. 34.2 BKat herangezogen wird (so: OLG Düsseldorf, NZV 1996, 117). In der Begründung des Bundesrates (VkBl 1991, $PHP_SELF$PHP_SELF hieß es insoweit:

"Das Rotlicht von Lichtzeichenanlagen wird von einer nicht unerheblichen Zahl von Fahrzeugführern - häufig im Zusammenhang mit überhöhter Geschwindigkeit - mißachtet. Diese Art der Vorrangsverletzung im Straßenverkehr ist u.a. deshalb besonders gefährlich, weil andere Verkehrsteilnehmer, und zwar insbesondere Kinder sowie Fußgänger und Radfahrer, in verstärktem Maße auf das Grünlicht für den Querverkehr vertrauen. Die Nichtbeachtung von Regelungen durch Lichtzeichen bildet eine bedeutende Unfallursache. Die eintretenden Folgen sind oft gravierend. Es ist deshalb geboten, besonders schwerwiegende Rotlichtverstöße schärfer zu ahnden, als beispielsweise einfache Vorfahrtsverletzungen, insbesondere ist bei grobem Fehlverhalten die Verhängung eines Fahrverbots erforderlich. . . . Eine abstrakte Gefährdung ist zu unterstellen, wenn ein Wechsellichtzeichen mißachtet wird, obwohl die Rotphase bereits länger als eine Sekunde andauert (Nr. 34.2). Der Querverkehr (insbesondere auch Fußgänger) kann sich nach dieser Zeit bereits im Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden."

Aus dieser Fassung ergibt sich kein verläßlicher Anhaltspunkt für die Deutung, ob nach dem Willen des Verordnungsgebers die hier relevanten Fälle des Rotlichtverstoßes vom Regeltatbestand der Nr. 34.2 BKat erfaßt werden sollten. Es spricht jedoch viel dafür, daß der Grund für die in Nr. 34.2 BKat vorgesehene erhöhte Ahndung des Rotlichtverstoßes bei einer länger als eine Sekunde dauernden Rotphase des Wechsellichtzeichens in der ab diesem Zeitpunkt eintretenden abstrakten Gefährdung des Querverkehrs liegt (so auch: OLG Düsseldorf [2. Strafsenat], NZV 1996, 117). Diese Gefährdung des Querverkehrs besteht sodann während der gesamten über eine Sekunde hinaus andauernden Rotlichtphase, so daß bei einer Nichtbeachtung der Lichtzeichenanlage innerhalb dieses Zeitraumes eine erhöhte Sanktion mit Rücksicht auf das bestehende Gefährdungspotential auch sachgerecht erscheint. Diese Gefährdung des Querverkehrs besteht auch in gleicher Weise sowohl in den Fällen, in denen ein Fahrzeugführer aus einer Fahrbewegung bei Beginn der Rotlichtphase oberhalb einer Sekunde die Lichtzeichenanlage noch passiert, als auch in den Fällen, in denen ein Fahrzeugführer nach zunächst erfolgter Beachtung des Rotlichts in einer späteren Phase des Rotlichts aufgrund einer Unachtsamkeit z. B. aus Anlaß eines Wahrnehmungsfehlers in den Kreuzungsbereich einfährt. Dem steht letztlich auch die Erwägung nicht entgegen, in Fällen der vorliegenden Art sei das Verhalten des Fahrzeugführers grundsätzlich nicht auf grobe Nachlässigkeit bzw. Rücksicht- oder Verantwortungslosigkeit zurückzuführen, denn die Anwendung dieses Regelfalls setzt nach dessen Wortlaut nicht voraus, daß es sich um eine grobe Fahrlässigkeit handeln muß. Die widerlegbare Vermutung, daß es sich um einen erschwerten Fall handelt, greift vielmehr bereits dann ein, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind, weil dann eine grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers (§ 25 11 StVG) indiziert wird. Anderenfalls würde das bedeuten, daß schon grundsätzlich beim "Übersehen eines Verkehrszeichens" die Voraussetzungen für einen groben Verstoß eines Kraftfahrzeugführers gem. § 25 1 1 StVG und damit für die Verhängung eines Fahrverbotes nicht vorlägen (so OLG Jena, DAR 1995, 209; DAR 1995, 260). Dabei wird allerdings verkannt, daß auch in einer bloßen Unachtsamkeit eine gravierende Fahrlässigkeit liegen kann (vgl. hierzu Bay0bLG, DAR 1996, 103 (104)).

Angesichts dessen hat das AG zutreffend im vorliegenden Fall die Voraussetzungen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes gem. Nr. 34.2 BKat angenommen. Es war sich hierbei der indiziellen Bedeutung des Regelfalles der Nr. 34.2 BKat bewußt und hat sodann die besonderen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt, indem es rechtsfehlerfrei bei der Festsetzung der Geldbuße von dem Regelbetrag in Höhe von 250 DM ausgegangen ist und sodann unter Hinweis auf einen "untypischen Rotlichtverstoß" mit vertretbarer Begründung von der Bestimmung des § 2 Abs.4 BKatV Gebrauch gemacht und unter Absehen von der Anordnung eines Fahrverbotes den Regelbetrag angemessen auf eine Geldbuße in Höhe von insgesamt 400 DM erhöht hat.

Vgl. auch Bay0bLG, NZV 1984, 3$PHP_SELFZV 1995, 497 und AG Frankfurt a. M., ZfS 1995, 434.

 

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Autor:
Quelle: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1997, S. 2125 ff.
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